OCTA Steuerberater hat 2024 die Geschäftsleitung abgeschafft. Statt auf starre Strukturen setzt Inhaber Ralf Sommer auf agiles Arbeiten und auf ein agiles Leaderhship. Die Führungsverantwortung verteilt sich dabei auf das gesamte Team. „Ich gebe nur die Leitplanken vor, was Strategie, Ausrichtung oder unseren Qualitätsanspruch betrifft“, erklärt Ralf Sommer, der sich mit dem Thema Leadership schon seit mehr als zehn Jahren intensiv beschäftigt. Die Führungskultur der Kanzlei, in der er seit 1999 arbeitet und die er 2017 übernahm, hat er (selbst)kritisch hinterfragt und mit Blick auf künftige Herausforderungen neu positioniert.
Was macht für Sie gute Führung aus?
Ralf Sommer: Um unsere Kernaufgaben als Steuerkanzlei voranzubringen, ticken wir – vor allem in Sachen Führung – vielleicht ein wenig anders. Führung auf Augenhöhe zeichnet sich durch eine gute Feedback-Kultur aus. Neben der Bereitschaft Feedback zu empfangen und zuhören zu können, schließt es aber auch das sich führen lassen ein. Selbsterkenntnis ist ein weiterer wichtiger Aspekt und eine wesentliche Säule, um zu wissen, wie man persönlich in puncto Führung tickt. Ich neige zum Beispiel dazu, viel zu sprechen und hatte früher in den Gesprächen mit den Mitarbeitenden immer einen viel zu hohen Redeanteil. Führung, das musste ich lernen, heißt jedoch „Hebamme“ zu sein. Also im übertragenen Sinn bedeutet dies für mich, andere zu Wort kommen zu lassen.
Was hat Sie dazu gebracht, Führung neu zu denken?
Ralf Sommer: Der Weg, den wir bei OCTA eingeschlagen haben, resultiert aus der sich immer schneller verändernden Welt, die insbesondere durch Digitalisierung und KI in Zukunft beeinflusst sein wird. Darüber hinaus hat die Generation der Millennials – Jahrgänge 1995 bis 2010 – ganz andere Erwartungen an sich und ihre Arbeit. Die daraus resultierende (Selbst)Erkenntnis und anstehende Entwicklungen haben uns stark beeinflusst.
Die Frage, warum ich entscheiden soll, wie die Mitarbeitenden arbeiten sollen, habe ich mir schon früh gestellt – auch nach Führungskursen auf Management-Ebene. Jahrelang bildeten sich Schlangen von Mitarbeitenden vor meiner Tür, um mir Fragen zu stellen. Schließlich bin ich der Steuerberater, der ja alles weiß (mit einem Zwinkern). Dabei wissen Mitarbeitende als Spezialist*innen in ihren Bereichen am besten – und zwar viel besser als ich – was sie wann wie tun. Doch erst durch einen Trainer habe ich verstanden, was es mit mir und meinem Führungsstil zu tun hat. Die Erkenntnis, dass ich die Ursache bin, war für mich die Initialzündung. Führen und Führen zulassen – mit diesen Überlegungen bin ich schließlich auf Lasse Rheingans zugegangen. 2023 gab es dann den ersten Workshop, unterstützt von den Bielefelder New Work Pionieren, um zu sehen, wo es brennt, wo Herausforderungen und Probleme liegen.
Wie organisiert sich ein Unternehmen ohne Führung?
Ralf Sommer: Halbjährliche intensive Workshops sind inzwischen ein fester Bestandteil unserer Unternehmenskultur. Zusätzlich haben wir neue Arbeitsmethoden wie zum Beispiel Scrum integriert. Es werden Ideen gesammelt, Arbeitskreise gebildet und Aufgaben definiert. Unser Montagsmeeting ist quasi der Auftraggeber in der Scrum-Welt. Es gibt eine Vielzahl von Arbeitskreisen zu Themen der Mitarbeitenden – vom Employer Branding über Workflow und Prozesse bis hin zu Deadlines. Ich arbeite zum Beispiel selbst beim Employer Branding mit. Hier beschäftigen wir uns mit administrativen Themen und haben als Ergebnis daraus bereits im letzten Jahr die Arbeitszeiten komplett flexibilisiert oder auch unseren Onboarding Prozess erneuert; so bekommt jeder neue Mitarbeitende eine/n Patin/en an die Seite gestellt
Administrativ sind wir schon sehr agil aufgestellt. Um das operative Geschäft jetzt weiter agil aufzustellen, überarbeiten wir derzeit unsere operativen Prozesse, um auch diese noch agiler zu gestalten. Ziel ist es dabei, unseren Kund*innen den Rücken freizuhalten und sie bei der Erreichung ihrer eigenen Ziele zu unterstützen. Die erfolgt unter andem durch agile, flexible, digitale und automatisierte Prozesse. Wir möchten, dass unsere Kund*innen und Mitarbeitenden Fans der Kanzlei sind.
Wie laufen Entscheidungsprozesse ab?
Ralf Sommer: Unser wöchentliches Montagsmeeting ist hybrid, da sich die OCTA-Gruppe mit rund 50 Mitarbeitenden auf vier Standorte in der Region verteilt: zwei in Bielefeld, in Paderborn und Rheda-Wiedenbrück. Die Tagesordnung ist sehr strukturiert, Agilitätsthemen stehen im Fokus. Die „Stabsstellen“ fokussieren sich auf administrative Themen wie Vertrieb und Marketing, die Teamleiter nehmen die operativen Themen in den Blick. Diese Struktur haben wir uns von der Industrie abgeguckt. Wesentlich ist auch das richtige Handwerkszeug, wie MS Teams, wo wir beispielsweise den Planner nutzen, der sehr transparent ist und für Klarheit sorgt.
Welche Herausforderungen sind mit dieser Art der Führung verbunden?
Ralf Sommer
Ralf Sommer: Eine Gefahr ist, sich als Unternehmen in Agilität zu verzetteln. Wenn man Scrum als Methode integriert, ist die erste Gefahr allerdings gebannt. Daher lassen wir uns von einem Scrum-Coach von der Agentur Rheingans professionell begleiten. Außerdem hat jeder Arbeitskreis eine/n Sprecher*in, um sicherzustellen, dass am Ende Ergebnisse generiert werden. Alle Sprecher*innen kommen im Anschluss in einem Kreissprecher-Meeting zusammen und definieren noch einmal das ganz große Ziel bevor sie lossprinten. Das sind Leitplanken, die ich zum Beispiel vorgegeben habe. Denn es muss ein Monitoring stattfinden. Bis 2030 wollen wir dann komplett agil sein. Die Frage, wie wir OCTA als großes Schiff Steuerberatung auch für die nächste Generation ins Ziel bringen, treibt uns voran. Und dabei denke ich jenseits von Partnerstrukturen, die sonst im Bereich Steuerberatung üblich sind.
Warum liegen hierin dennoch Chancen und welche positiven Effekte sind spürbar?
Ralf Sommer: Unsere Prozesse werden immer agiler. 2013 haben wir mit dem Thema Leadership begonnen und setzen auf eine Kombination aus stärkengerecht, intrinsisch motivierten Mitarbeitenden, die bereit sind, sich in den Arbeitskreisen einzubringen und ihren Arbeitsplatz der Zukunft mitgestalten. Die Identifikation der Mitarbeitenden mit unserem Unternehmen ist gewachsen und so stark wie noch nie. Das hat eine eigene Dynamik und führt zu ablesbaren Ergebnissen. Wir verzeichnen eine sehr geringe Fluktuation, haben ein höheres Employer Branding und können trotz des Fachkräftemangels weiterwachsen. Uns ist es zum Beispiel gelungen über Social Media eine Vielzahl von Mitarbeitenden zu gewinnen.
Was empfehlen Sie anderen Unternehmen in puncto Umsetzung?
Ralf Sommer: Stillstand bedeutet Rückschritt. Das heißt auch, dass sich jedes Unternehmen immer wieder selbst hinterfragen muss. Fakt ist, man ist nie fertig mit der Entwicklung eines Unternehmens. Offenbleiben, sich Feedback einholen, branchenübergreifend Ideen sammeln, mit den Mitarbeitenden sprechen, sich als Chef nicht so wichtig nehmen und das eigene Ego in den Schatten stellen, sind hierbei hilfreich. Wer seine Mitarbeitenden befähigt und sie voran laufen lässt, hat schon viel verstanden. Das heißt: Eigentlich hätten Sie dieses Gespräch nicht mit mir, sondern mit meinen Mitarbeitenden führen müssen.