Nachhaltigkeit – Treiber von Innovation und Optimierung
Green Stories
Innovationstreiber
Wie entsteht Innovation, was befördert und was behindert sie? Prof. Dr. Christian Berg, der während der GREEN INNOVATION WEEKS zum Thema „Nachhaltigkeit in Unternehmen als Treiber von Innovation und Optimierung“ referierte, arbeitet seit zwanzig Jahren zu Fragen der nachhaltigen Entwicklung und der Corporate Sustainability.
Die komplexen Sachverhalte verschiedener Wissensgebiete, die damit verknüpft sind, brachte er in seinem Vortrag durch eine Vielzahl von Beispielen auf den Punkt. Zukunftsfähige Entwicklung bedeutet für ihn, das zeigte sein Vortrag eindrücklich, sowohl Chance als auch Verantwortung.
Es hängt von uns ab, wie wir die Zukunft gestalten.
Christian Berg
Mit einer Innovation, die aus dem Alltag der meisten Menschen nicht wegzudenken ist, startete Christian Berg, der mehr als 10 Jahre in großen Unternehmen tätig war, sich in der Politik aber auch als Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome für Nachhaltigkeit einsetzt. „Es ist atemberaubend in welchem Tempo und wie massiv Smartphones unser Leben verändert haben“, stellte er fest. „Wir reden seit 15 Jahren über das iPhone.“ Im krassen Gegensatz dazu steht für ihn die Tatsache, dass bereits seit 40 Jahren über den Klimawandel gesprochen wird. „Auch vor dem Hintergrund, dass viele Akteure wie Exxon schon vor 40 Jahren wussten, wie sich die CO2-Emissionen entwickeln werden“, so Christian Berg, der auf den Anstieg der CO2-Emissionen im Zeitraum von 1960 bis 2000 verweist und mahnt: „In diesem Tempo darf es beim Klimaschutz nicht weitergehen. Auch die IT wird künftig auf mehr Nachhaltigkeit ausgerichtet sein müssen.“ Und zwar nicht nur, um die gängige Entsorgungspraxis in Richtung globaler Süden zu verändern. Auch die kontinuierlich steigenden Energieverbräuche sind ein kritischer Punkt. Nach manchen Szenarien könnten 2030 bis zu 50 Prozent des Stroms allein für IT benötigt werden. Der Bedarf an mehr Bandbreite und der Ausbau des 5G-Netzes treiben den Energieverbrauch massiv in die Höhe. „Es hängt von uns ab, wie wir die Zukunft gestalten“, betonte Christian Berg, der als Honorar- bzw. Gastprofessor an der TU Clausthal sowie der Universität des Saarlands lehrt und exemplarisch Bezug zur aktuellen Energiekrise nahm. Im Fall von Nord Stream 2 warnten Kritiker schon vor Jahren davor, dass sich Europa damit abhängig vom russischen Gas machen würde. „Dennoch ist der Anteil deutscher Importe aus Russland seit der Krim-Annexion von 35 Prozent 2014 auf 55 Prozent 2021 gestiegen. Doch während die EU seit der Krim-Annexion 20 LNG-Terminals gebaut hat, hat Deutschland heute noch keins“, so Christian Berg. Seine Schlussfolgerung: „Günstiges Pipeline-Gas verhindert Innovation.“
Not macht erfinderisch
Im Gegensatz dazu mache Not erfinderisch. Das verdeutlichte er anhand der Ölpreiskrise zwischen 2000 und 2008. In diesem Zeitraum war der Ölpreis stark angestiegen, doch stieg die Zahl der US-Patent-Anmeldungen für erneuerbare Energien, Windkraft und Solar sogar noch stärker an. „Krisen sollte man als Innovationsanreiz verstehen. Es gilt aus der Not eine Tugend zu machen und sich aus der Komfortzone herauszubewegen. Innovation ist immer auch mit Anstrengung verbunden“, formulierte Christian Berg seine Botschaft. Die Formel dafür lautet: Innovation ist die Summe aus Erfindung plus Markt-Erfolg. „Dafür muss man als Unternehmen Knappheit und Bedarf erspüren“, sagte Christian Berg. Und den Markt von morgen antizipieren. Kundenerwartungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie gesellschaftliche Trends, regulatorischer Rahmenbedingungen oder die Verfügbarkeit von Ressourcen: In Zeiten eines Fach- und Führungskräftemangels müssen sich Unternehmen dem „War for talents“ genauso stellen wie globalen öko-sozialen Herausforderungen mit Themen wie Klimawandel und Migration. „Krisen treffen uns immer wieder – doch auch angesichts dieser Herausforderungen bleibt der Imperativ der Nachhaltigkeit bestehen“, so Christian Berg. „Denn mit der Natur lässt sich nicht verhandeln“. „Flatten the Curve“ lautet aus seiner Sicht die Aufgabe.
Wohlstand zu Lasten der Umwelt
Dass das mal gut und mal sehr schlecht läuft, veranschaulichte er anhand der Corona-Krise mit der Anzahl der weltweit kumulierten Corona-Fälle innerhalb eines Jahres und verglich diese Entwicklungskurve mit dem der Erdsystemtrends seit 1750. „Man sieht ähnliche Verläufe, doch im Gegensatz zu Corona muss man beim Klima mindestens 20 bis 30 Jahre vorausdenken“, so Christian Berg mit Blick auf die Entwicklung der Bevölkerung, den globalen Primärenergiebedarf, den Düngemittelverbrauch, die Kohlendioxidkonzentration sowie die Ozeanversauerung und die Schädigung der Biosphäre in den letzten 250 Jahren. Für ihn führt das unweigerlich zu der Frage, ob Wohlstand überhaupt möglich ist, ohne die Umwelt zu opfern. Ein Blick auf unseren ökologischen Fußabdruck – und die dafür benötigte Zahl der Erden – offenbart im Abgleich mit dem Human Development Index den Handlungsbedarf.
Wir haben durch unsere Art zu wirtschaften zu dieser Misere maßgeblich beigetragen. Daraus ergibt sich für uns alle eine große Verantwortung, auch für Unternehmen. Zugleich können daraus für Unternehmen aber auch Innovations-Chancen entstehen.
Welche Aufgabe auf die Wirtschaft und damit Unternehmen zukommt, bringt der Nachhaltigkeitsexperte mit einem Wort auf den Punkt, Dekarbonisieren: „Noch hängt vieles am fossilen Tropf, von der Industrie über den Verkehr bis hin zu unseren Gebäuden.“ Das Potenzial sieht er in der Kreislaufwirtschaft. Bisher entstehen 45 Prozent der Treibhausgas-Emissionen durch Produkte und Nahrung. Die Energiewende wird laut Berg den Bedarf an strategischen Rohstoffen erhöhen. Damit einher geht ein steigender Bedarf an Technologien für Erneuerbare Energien bis 2030. „Zudem gibt es bei seltenen Rohstoffen kein nennenswertes Recycling“, schloss Christian Berg den Kreis und verwies auf schätzungsweise 200 Millionen alte Handys, die allein in deutschen Schubladen schlummern. Auch dafür gilt es, Kreisläufe in Gang zu bringen.
Wirtschaft im Wandel
Sein Fazit: Gebraucht werden Systemlösungen, denn aufeinander aufbauende Verbesserungen genügen nicht. In der Autoindustrie wird dies besonders deutlich. So hat sich in der Zeit von 1938 bis 2021 der Fortschritt vor allem beim Komfort, viel zu wenig aber in der Ressourceneffizienz niedergeschlagen. So liegt die Auslastung bei Autos bei nur 30 Prozent, die Nutzung bei 3 Prozent. „Der Rebound-Effekt fällt uns immer wieder auf die Füße“, betonte Christian Berg, der für systemische Lösungen nicht nur bei Mobilität und Verkehr plädiert, sondern diese auch in Bereichen wie Produktion und Konsum, Wohnen und Arbeiten und Öffentliche Verwaltung sieht. Und ist optimistisch, dass etwas Neues entstehen kann. Denn die Rolle von Unternehmen hat sich verändert. Spiegelte Milton Friedmans Aussage „The Business of Business is Business“ 1970 das wirtschaftliche Verständnis nach dem Motto „Es gibt eine und nur eine soziale Verantwortung von Unternehmen … ihre Profite zu erhöhen…”, verlagerte Boston Consulting in Anlehnung an das Friedman-Zitat 2017 mit „The Business of Business is no longer just Business!“ deutlich den Fokus. Christian Berg beschrieb diesen Haltungswechsel in einem Satz: „Stakeholdermanagement ist die Voraussetzung für Shareholder Value.“ Und untermauerte es mit einem Zitat der US-amerikanischen Investmentgesellschaft BlackRock: „In der heutigen global vernetzten Welt muss ein Unternehmen für seine Stakeholder sowohl Werte schaffen als auch von der ganzen Breite seiner Stakeholder wertgeschätzt werden, um für seine Anteilseigner langfristigen Wert zu schaffen.“ Das heißt, Unternehmen müssen sich heute als gesellschaftliche Akteure positionieren. „Das ist ein ganz anderer Ansatz, sich in den Diskurs einzumischen, auch der Spirit ist ein anderer“, machte Christian am Beispiel von Unilever deutlich. Mit „Take Action“ fordert das Unternehmen dazu auf, die Welt – und zwar als gemeinschaftliche Aufgabe – besser zu gestalten. Denn die planetaren Grenzen zu beachten und die dringenden sozial-ökologischen Herausforderungen zu adressieren, hat längst eine andere Relevanz. „Es reicht nicht mehr, eigene Maßstäbe bei der Reduzierung von Emissionen anzulegen, sondern dies mit Sicht auf die planetaren Grenzen zu tun“, so Christian Berg.
Regeln und Rechte
Und so fordert inzwischen auch die Rechtsprechung Taten – von Politik und Unternehmen gleichermaßen. Christian Berg verwies beispielhaft auf Shell. Der Konzern wurde in den Niederlanden dazu verurteilt, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 deutlich zu verringern. In Deutschland hatte 2021 das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet, die Ziele des Deutschen Klimaschutzgesetzes für die Zeit nach 2030 genauer zu regeln. Und der European Green Deal setzt auf EU-Ebene Maßstäbe, mit dem Ziel den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu schaffen. Und zwar unter der Prämisse, bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen und das Wachstum von der Ressourcennutzung abzukoppeln. Kreislaufwirtschaft, nachhaltiger Transport, saubere, verlässliche und bezahlbare Energie, aber auch die Transformation finanzierbar zu machen, zielen zum Beispiel darauf ab.
Nachhaltigkeit als Motor für Innovation
Der Druck zur Veränderung kommt von vielen Seiten. Beispielsweise durch Bewegungen wie Fridays for Future, durch Entwicklungen im B2B-Bereich, initiiert durch das Konsumverhalten, aber auch geprägt durch Young Professionals, die nach „Purpose“ verlangen. Allein 75 Prozent der Millennials glauben, dass Unternehmen sich nicht genügend darum bemühen, die Gesellschaft zu verbessern. Und 69 Prozent aller Mitarbeitenden sind der Ansicht, dass die Pandemie die Bedeutung von „Purpose“ für Unternehmen vergrößert hat. „Das führt dazu, dass Nachhaltigkeitsmanagement heute das neue Qualitäts-Management ist“, erklärte Christian Berg auch rückblickend. So standen ab 1964 Themen wie Qualität/Produktsicherheit im Blickfeld, ab 1985 waren es dann ökologische Kriterien und seit 2004 sind es „Corporate Social Responsibility“ und soziale Standards in der Lieferkette. „Nachhaltigkeit kann also zu Innovation und Optimierungen anregen“, erläuterte der Experte. Beispiele dafür liefern Unternehmen wie die Rügenwalder Mühle, Iglo oder Beyond Meat, die mit fleischlosen Produkten Innovation vorantreiben, und zwar äußerst erfolgreich. Doch Innovationen sind auch in anderen Bereichen möglich. Durch die Optimierung von Produktion und Logistik konnte Danone beispielsweise entlang der Wertschöpfungskette rund 30 Prozent seiner CO2-Emissionen reduzieren und strebt bis 2030 eine Halbierung an. Damit verbunden sind jedoch auch Prozessoptimierungen, Effizienzgewinne und Kostenersparnisse. Christian Berg machte auch auf Beispiele aus der Bielefelder Wirtschaft aufmerksam. So setzt JAB mit seiner kreislauffähigen Climatex-Kollektion Akzente, während ZF Friedrichshafen sich auf die Aufarbeitung von gebrauchten Kupplungsaggregaten und Drehmomentwandlern spezialisiert hat und dafür mit dem Deutschen Award für Nachhaltigkeitsprojekte ausgezeichnet wurde.
Die Dekarbonisierung – also die Reduzierung von Kohlendioxidemissionen durch den Einsatz kohlenstoffarmer Energiequellen – ist auch im produzierenden Gewerbe, in der Grundstoffchemie oder der Luftfahrt möglich. So versuchen EVONIK und Siemens Energy in einer Versuchsanlage durch künstliche Photosynthese den Kohlendioxid-Kreislauf zu schließen und Wasserstoff als Rohstoff für nachhaltige Chemikalien zu nutzen, während im Emsland CO2-neutrales Kerosin für die Luftfahrt durch Energie aus ausrangierten Windrädern und CO2 aus Biogasanlagen, gewonnen aus Essensresten, produziert wird. „Selbst die Virtualisierung der Kommunikation trägt zur Wertschöpfung und weniger Emissionen bei und führt nicht nur zu weniger (Reise-)Stress, sondern auch zu geringeren Kosten und beschert mehr Zeit“, erklärte Christian Berg. Und auch die Frage, ob man alles besitzen oder sich manches – von der Bohrmaschine bis zum Rasenmäher – teilen sollte, ist von wirtschaftlichem Interesse. Dieser Gedanke treibt die Sharing-Economy an. Auch in Bielefeld, wo Circuly mit seiner Software-as-a-service auf das Potenzial der Kreislaufwirtschaft setzt.
Wie sich das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen realisieren lässt, auch dafür lieferte er schließlich Anregungen. Machte aber vorher klar, wo das Thema angesiedelt sein sollte: im Kerngeschäft. Ziel ist es, Greenwashing zu vermeiden. Und es braucht eine neue Kultur von Fehlertoleranz und Innovation.
Nachhaltigkeit ist ein Jahrhundertprojekt, das allen Akteuren viel abverlangt. Zum einen müssen Unternehmen sich den vielfältigen Stakeholderanforderungen stellen. Zum anderen sind Agilität und Lust, Neues auszuprobieren und mutig nach vorne zu gehen wichtig, um Nachhaltigkeitstrüffel zu finden. Denn erst wenn „neue Knappheiten“ als Innovationsanreiz verstanden werden, können sie zu Treibern von Innovation und Optimierungen werden