Der Ausbildungsmarkt in Deutschland hat sich komplett verändert. „Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen ist in den letzten 15 Jahren rapide gesunken“, stellt Yasemin Kesti, CEO von JoBooking, fest. „Betrachtet man den Zeitraum von 2007 bis 2022 ist es ein Minus von 24,4 Prozent. Vor 2007 war das Verhältnis umgekehrt.“ Gleichzeitig schießt die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen in die Höhe. Sie hat sich fast vervierfacht. Eine Entwicklung, die seit 2008 anhält. „Gab es 2008 noch 19.510 unbesetzte Ausbildungsstellen, sprechen wir 2022 von 68.868“, erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin. „73.400 Azubi-Stellen konnten 2023 wieder nicht besetzt werden.“ bilanziert Yasemin Kesti das Ergebnis. Eine Situation, die auch eine Befragung der DIHK aus dem letzten Jahr spiegelt, bei der sich 14.278 Unternehmen beteiligten. 69 Prozent der Unternehmen erhielten nur ungeeignete Bewerbungen, 39 Prozent gar keine und in 24 Prozent der Fälle wurden die Ausbildungsverträge nach Beginn wieder aufgelöst. Yasemin Kesti fügt hinzu: „Es reicht also nicht mehr aus, passiv auf den Eingang von Bewerbungen zu warten. Arbeitgeber müssen heute um einen viel kleineren Kandidatenpool „kämpfen“. Ihr Recruiting früher zu beginnen – und das am besten im Rahmen der Berufsorientierung während der Schulzeit – halten wir für den erfolgversprechendsten Weg. Davon profitieren nicht nur die Arbeitgeber, sondern unterstützt ebenfalls die Orientierung junger Menschen. “
Auf der Suche nach einer Lösung hat sich das siebenköpfige Team von JoBooking aus der Hochschule Bielefeld intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und eine Plattform entwickelt, die den Berufsorientierungsunterricht an Schulen mit dem Recruiting der Unternehmen verbindet. Arbeitgeber*innen erhalten so den Zugang zu hunderten von Bewerbungen aus ihrer Region, können mit dem Nachwuchs bereits in der Schulzeit kommunizieren, Bewerbungs- und Praktikumstermine buchen und damit ihre Ausbildungsplätze adäquat besetzen. „Die Schwerpunkte in der Nachwuchsgewinnung haben sich verändert“, erläutert die CEO. Deshalb rückt JoBooking beim Recruiting 4.0 drei Aspekte in den Fokus. Mit Blick auf das Timing für die Nachwuchsgewinnung bedeutet dies: Das Recruiting sollte viel früher beginnen. Gleichzeitig müssen Unternehmen selbst sichtbarer werden. Und zwar bevor der Bedarf akut ist. Und nicht zuletzt braucht es für das passgenaue Matching proaktive Maßnahmen.
Die Frage, wie Unternehmen das klassische Recruiting angehen, welche Kanäle sie nutzen – von Messeauftritten bis hin zur Karriereseite auf der eigenen Homepage – oder welche Bewerbungs- und Auswahlverfahren sie für die Azubigewinnung nutzen, ist für JoBooking nur eine Seite der Medaille. „Entscheidend ist es, den Prozess zielgruppenspezifisch zu gestalten, denn auf der anderen Seite sitzen junge Menschen“, unterstreicht Yasemin Kesti. Schließlich ist die künftige Berufswahl bereits in der 8. Klasse ein Thema. „Für alle Schüler*innen ab der Klasse 8 sind Praxiserfahrungen Teil der schulischen Berufsorientierung“, erklärt sie und verweist auf Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA). Als Sweet Spot bezeichnet das Bielefelder Startup die Möglichkeit, dass Unternehmen den potenziellen Nachwuchs schon während der Schulzeit abholen. „Und zwar in einer Phase, wo es auch im Rahmen von Schule, um Berufsorientierung geht“, sagt Yasemin Kesti. Obwohl es noch nie so viele Informationen (via Plattformen, Internet und Materialien) wie jetzt gab, fühlen Schüler*innen sich oftmals dennoch uninformiert. Ausschlaggebend ist scheinbar nicht das Vorhandensein von Informationen, sondern dass diese auch aufgenommen werden. Und Unternehmen lernen ihre Azubis oft erst ganz am Ende der Schullaufbahn kennen. Das Recruiting beginnt also bestenfalls schon in der Schule und nicht erst nach Schulabgang. Denn davor ist auch der Kandidatenpool deutlich größer.“
Das Azubi-Recruiting in die Phase der Berufsorientierung zu implementieren, war für das Bielefelder Startup JoBooking daher eine logische Konsequenz. „Inzwischen sind mehrere Bielefelder Schulen bei uns an Bord, weitere folgen.“, sagt Yasemin Kesti. „Die Suche einander zu finden, verbinden wir auf unserer Online-Plattform. Es braucht nur einen Klick“, sagt Henoch Derar. Der Wirtschaftsingenieur, er verantwortet bei JoBooking das Schulnetzwerk, erklärt wie das Portal funktioniert. „Die Profile, die von Schüler*innen wie auch Arbeitgeber*innen hinterlegt werden, aber auch die damit verbundenen vielfältigen Funktionen machen ganz niedrigschwellig eine Kontaktaufnahme möglich. Von der Suche eines Praktikums bis hin zum Ausbildungsplatz.“ Die Bewerbungen, die die Schüler*innen intuitiv über das Formularsystem erstellen, können sie deutschlandweit verschicken. Und auch Unternehmen können Schüler*innen proaktiv ansprechen. „Die Chatfunktion ist das Herzstück unserer Plattform, hier können Unternehmen Schüler*innen zu Events wie Tagen der offenen Tür einladen, auf Praktika oder offene Ausbildungsstellen aufmerksam machen und sich so auch nah- und sichtbar zeigen“, betont Henoch Derar. Für Unternehmen ist die Plattform übrigens ab dem 1. April 2024 online und damit verfügbar.
Ergänzend stellt Claudia Hilse, als Leiterin der Kommunalen Koordinierung der REGE mbH verantwortlich für die Umsetzung von „Kein Abschluss ohne Anschluss” in der Stadt Bielefeld, weitere Möglichkeiten vor, um Unternehmen und potenzielle Azubis direkt miteinander zu vernetzen. „In Bielefeld gewinnt die Ausbildung wieder an Attraktivität. 2023 haben 25 Prozent der Schüler*innen direkt nach dem Schulabschluss eine duale oder schulische Ausbildung begonnen. Jugendliche sehr frühzeitig anzusprechen, um sie für Berufsfelder und das eigene Unternehmen zu begeistern, ist dabei ganz entscheidend“, weiß die kommunale Expertin, die den Kontakt zu Schulen und Unternehmen gleichermaßen pflegt und Kooperationen anstößt.
Gerade die betriebliche Praxis für junge Menschen erlebbar zu machen und sie ins Unternehmen zu holen, ist für die Nachwuchsgewinnung wichtig.
Claudia Hilse, Leiterin der Kommunalen Koordinierung der REGE mbH
Im Rahmen der beruflichen Orientierung ergeben sich aus ihrer Sicht viele Möglichkeiten für Unternehmen, ohne großen Aufwand aktiv zu werden. Den Rahmen bietet die in NRW seit 2012 standardisierte Berufsorientierung „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Sie wird verbindlich an allen Schulen und Schulformen umgesetzt und läuft von der Klasse 8 bis zum Abitur. Zu den wichtigen Kernelementen zählen die Reflexion der eigenen Stärken und Talente (Potenzialanalyse) und das Erleben von möglichst vielfältigen Praxiserfahrungen im Rahmen von Berufsfelderkundungen (ab Klasse 8), Praktika (ab Klasse 9) und Praxiskursen. „Gerade die betriebliche Praxis für junge Menschen erlebbar zu machen und sie ins Unternehmen zu holen, ist für die Nachwuchsgewinnung wichtig“, macht Claudia Hilse deutlich. Ihr Tipp: Unternehmen sollten auf die Qualität ihres Angebotes achten. Das heißt aber auch: Betriebliche Kontakte und Praxisphasen müssen geplant werden. Schließlich sollen es für die Schüler*innen positive Erlebnisse sein, die die Klebewirkung fördern. „Die eigenen Azubis sind übrigens oftmals die besten Botschafter*innen“, betont Claudia Hilse.
Über die Standardformate der Berufsorientierung hinaus, gibt es weitere Optionen den Nachwuchs zu gewinnen. „Sehr gut kommt die Bielefelder Nacht der Berufe an“, erklärt Claudia Hilse. Am 13. September 2024 ist es wieder so weit. Bereits am 2. Februar 2024 sorgt allerdings die jährliche Berufsinformationsbörse „Startklar“ der Jugendberufsagentur dafür, den Recruiting-Prozess zwischen Jugendlichen und Unternehmen ganz analog voranzutreiben. Unternehmen, die an Kontakten zu Schulen und der Umsetzung von Berufsorientierungsangeboten interessiert sind, können sich sehr gern bei der Kommunalen Koordinierungsstelle melden.
2.2.2024 Berufsinformationsbörse „Startklar“, Carl-Severing-Berufskolleg, 8-13 Uhr
13.9.2024 Bielefelder Nacht der Berufe, rund um die Bielefelder Innenstadt, 17-21 Uhr
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