Bevor Prof. Dr. André Reichel auf die Frage eingeht, was nach Corona kommt, wirft er zunächst einen Blick zurück. „Corona ist eine menschliche Katastrophe mit derzeit 3 Millionen Toten, die uns nachdenklich stimmen muss.“ Auch wenn durch die Impfprogramme eine Entspannung eintritt, sei global gesehen Covid noch lange nicht vorbei. Nicht nur als Exportnation müsse man überlegen, wie Deutschland anderen Ländern helfen könne.
Die Corona-Pandemie habe die Weltwirtschaft in einer sich ohnehin abkühlenden Phase getroffen. Jetzt seien besonders kleinere Mittelständler, Selbstständige und die Gastronomie betroffen. Die derzeitige wirtschaftliche Krise sei nicht vergleichbar mit der Finanzkrise 2008/2009, die primär Europa und Nordamerika erfasst habe. Kurz- und mittelfristig hätten in dieser Situation die staatlichen Rettungspakete das Allerschlimmste verhindert, aber langfristig würden Probleme zutage treten, wenn man allein an den Ausfall von Schulstunden dächte.
Zugleich wirke Covid aber auch als Katalysator, der Dinge beschleunige. Problemstellungen, zum Beispiel in der Automobilbranche, die schon vor der Pandemie, wie z. B. Klimawandel, E-Mobilität und Digitalisierung, virulent gewesen seien, müssten nun konsequent angegangen werden. Außerdem weist Prof. Dr. André Reichel darauf hin, dass Covid ein Pfadbrecher sei. „Ehemals erfolgreiche Industrien wie die Luftfahrt und die Tourismusbranche werden durchgerüttelt. Die Lufthansa ist sogar aus dem DAX geflogen.“ Die Fluggastzahlen hätten 2020 nicht mehr das „normale Niveau“ erreicht. Ob die Zahlen diesen Level noch einmal erreichen, sei fraglich. Denn durch die Pandemie seien Verhaltensveränderungen eingetreten. Strukturelle Veränderungen, die auch Geschäftsreisen beträfen, seien festzustellen. Denn digitale Meetings hätten sich bewährt und Unternehmen könnten Kosten sparen, wenn nur noch jede dritte oder vierte Besprechung in Präsenz stattfände.
Damit kommt Prof. Dr. André Reichel zum nächsten Aspekt: Covid als Enabler. Gewinner der Krise sind Digitalisierungsunternehmen – auch Zoom-Boom genannt. Zoom hat in der Krise in nur acht Wochen seine User-Zahl verdreißigfacht. Riesen wie Amazon, Apple, Facebook und Co. hätten ebenfalls riesige Gewinne eingefahren. „Die neue Leitindustrie sind die Digitalisierungsindustrien“, betont der Zukunftsforscher. „Bei uns in Deutschland sind nur wenige digitale Champions zu finden.“
Dass es zu einer Pandemie gekommen ist, sei kein Zufall. „Durch unseren ökologischen Fußabdruck und die immer stärkere Zurückdrängung und Zerstörung von Naturräumen werden Zoonosen – die wechselseitige Übertragung von Viren auf Menschen und Tiere – immer wahrscheinlicher.“ Dies sei durch eine bestimmte Art des Wirtschaftens verursacht. Ein Trend, der seit den 1950er-Jahren die „Große Beschleunigung“ genannt wird und die dramatische, in der Geschichte beispiellose Zunahme von menschlicher Aktivität in vielerlei Hinsicht bezeichnet. Sei es das Wachstum in Industrie und Handel oder die Bevölkerungszunahme. Die Menschheit ist die dominante Kraft auf unserem Planeten. Allerdings ist der Einfluss ungleich verteilt. Den größten Anteil an den negativen Auswirkungen hätten die Länder des Nordens, bedingt auch die Schwellenländer, die ärmeren Länder hingegen nicht.
„Wir belasten nicht nur die Umwelt, sondern wir exportieren die Belastung ins Ausland.“
betont Prof. Dr. André Reichel.
Der von Menschen gemachte Klimawandel sei nur eine Variable, bei der auch unser Lebensstil eine entscheidende Rolle spiele. Die Begrenzung des Klimawandels sei eine große Herausforderung – auch und besonders für Unternehmen. CO2 entsteht bei jedem Produktionsprozess. Dabei reiche es nicht, wenn ein Unternehmen selbst klimaneutral sei, sondern es müsse die gesamte Lieferkette und auch die Nutzung des Produkts betrachtet werden. Prof. Dr. André Reichel nennt das Beispiel Auto, wobei die meisten Emissionen nicht bei der Produktion, sondern bei der anschließenden Nutzung durch die Autofahrer*innen anfielen. Bei einem Joghurt-Hersteller wie Danone sei der größte Emissionsverursacher die Kuh. „Eine Emissions-Kompensation ist nicht ausreichend. Vermeidung ist die Strategie der Wahl“, unterstreicht der Wissenschaftler. Dazu gehöre der Fokus auf die Kreislaufwirtschaft. Die Nutzungsdauer der Produkte müsse verlängert werden. Die Produkte müssten langlebiger sein und so produziert werden, dass sie reparierbar seien. Ingenieur*innen müssten entsprechend ausgebildet werden. Die Klimaneutralität sollte nicht 2050 oder 2040 das Ziel sein, sondern besser schon 2035.
Der Aufstieg neuer Leitbranchen und die Krise in etablierten Branchen zeigt, dass es an der Zeit sei Dinge loszulassen und Raum für neue Entwicklungen zu schaffen. Dabei sei es wichtig, auch Fehler zuzulassen. „Dazu braucht es mutige Unternehmer*innen und Menschen in der Politik, die die Weichen stellen.“
Die sich anschließende Gesprächsrunde leitet Dominik Gross ein, der von Oberbürgermeister Pit Clausen wissen möchte, ob die Corona-Pandemie die Stadt vor gänzlich neue Herausforderungen stellt. Und zwar eine Situation, wie es sonst nur Start-ups erleben, hier mit Pit Clausen als Start-up-CEO. „Es ist nicht ganz so wie bei einem Start-up“, berichtet der Oberbürgermeister, der im Krisenmanagement immer dazulernt und sich in den Grenzen von Systemen und rechtlichen Bedingungen bewegt. Der permanente Austausch sei wichtig. Der Deutsche Städtetag NRW, dessen Vorsitzender Pit Clausen ist, sei momentan „seine große Selbsthilfegruppe“, wie er schmunzelnd zu Protokoll gab. Andere Städte stünden vor ähnlichen Problemen und man könne von den Erfahrungen der anderen profitieren. In puncto Pandemie fahre man durch die oft wechselnden Infektionslagen auf Sicht. Daneben gäbe es noch Strukturprobleme. Was beispielsweise mit den Innenstädten passiere; wie diese in 10 bis 15 Jahren aussehen sollen. Krisenmanagement und Gestaltung der Stadt – momentan müsse man auf beiden Bühnen spielen. Wie auch beim Klimaschutz. Hier arbeite die Stadt bereits seit Jahren mit einem Klimaschutzhandlungsprogramm, um CO2-Emissionen und den Endenergieverbrauch zu reduzieren sowie den Anteil erneuerbarer Energien am Endstromverbrauch zu steigern. „Wir müssen da noch ambitionierter werden“, unterstreicht Pit Clausen. „Meine Aufgabe ist es, diese Ziele auf konkrete Maßnahmen herunterzubrechen, Partner zu finden, global zu denken und lokal zu handeln. Wie bekomme ich beispielsweise den Bürger dazu, aufs Rad umzusteigen. Und was können wir und die WEGE machen, um die Wirtschaft bei ihrer Transformation zu unterstützen. Und als Regiopole möchten wir auch unsere Nachbarkommunen mit unseren Initiativen begeistern. Das ist das Spannende im kommunalen Tun.“
Auf die Frage, wie die nächste Generation durch den Ausfall an Unterricht aufgefangen werden könne, gibt der Oberbürgermeister an, dass die Stadt Bielefeld sämtliche Förderprogramme ausgeschöpft und die Endgeräte verteilt habe. Der Breitband-Ausbau auf einer Fläche von 250 Quadratkilometern sei hingegen eine längerfristige Aufgabe.
Als nächsten Gesprächspartner in der Runde stellt Brigitte Meier den „im positiven Sinne technikverrückten“ Geschäftsführer der insensiv GmbH, Christian Gieselmann, vor. Das Bielefelder Unternehmen ist Spezialist für Bildverarbeitung und legt den Fokus bei seinen Produkten auf den Einsatz intelligenter Kamerasysteme, wie z. B. bei Pfandrückgabeautomaten – eine Innovation im Rücknahmeverfahren. Von den Auswirkungen der Corona-Pandemie war und ist das Unternehmen nicht in besonderer Weise betroffen, denn gegessen und getrunken werde immer. So wurden die Mitarbeitenden auch nicht in Kurzarbeit geschickt oder gar entlassen. Im Gegenteil: Während der Pandemie hat insensiv ein neues Produkt entwickelt: Der Luftreiniger, der in geschlossenen Räumen für eine konstant niedrige Aerosolkonzentration sorgt. „Wir haben eine Marktanalyse gemacht und festgestellt, dass besonders für Schulklassen- und Konferenzräume ein Bedarf besteht“, berichtet Christian Gieselmann. Leider sei bislang ein Run auf das Produkt nicht eingetreten, da lediglich das Bundesland Bayern Fördermittel für Schulen zur Verfügung stelle. Er sehe allerdings den Luftreiniger als langfristig marktfähiges Produkt an.
Anders als insensiv hat die Corona-Pandemie die Tourismusbranche hart getroffen, wie Kristina Oehler von ruf-Jugendreisen berichtet. Normalerweise verreisen pro Jahr 50.000 Jugendliche mit ruf. Das war 2020 nicht möglich, auch wenn das Unternehmen schnell gute Hygienekonzepte entwickelt hat. Mitarbeitende mussten in die Kurzarbeit geschickt werden und man arbeite auf Sicht und hofft, dass in den Sommerferien Reisen möglich sind. „Unser Produkt lebt von menschlichen Kontakten“, sagt die geschäftsführende Gesellschafterin. „Von Bielefeld geht es in die Welt. Auch in unserem Büroalltag im House of ruf am Lenkwerk vermissen wir die Kontakte schmerzlich.“ ruf hat mittlerweile neue Ziele in Deutschland ins Programm genommen – auch in NRW und an der Nordsee. Außerdem hat sich das Unternehmen schon seit längerem Klimaziele gesetzt. Reisen werden durch Klimainvest klimaneutral gestellt. Der Schwerpunkt läge auf Bus- und nicht auf Flugreisen. Ziel von ruf sei es – ebenfalls im Sinne der Nachhaltigkeit – Jugendlichen andere Kulturen näherzubringen und auch vor Ort im Urlaubsland auf regionale Produkte zu setzen.
Ein Ziel, auf das viele Unternehmen noch hinarbeiten, hat die DMG Mori AG, einer der größten Hersteller von spanenden Werkzeugmaschinen, in Deutschland bereits erreicht: Es ist klimaneutral. „Die Werkzeugmaschine ist die Mutter aller Maschinen. Ohne sie gibt es keine Brennstoffzelle und auch keine Windkraft. Die Werkzeugmaschine ist ein grünes Produkt“, so Dr. Maurice Eschweiler. „Wir sind zum Glück keine energieintensive Branche. Das Unternehmen hat die eigene Wertschöpfungskette klimaneutral gestellt. Es habe eine Mindset-Änderung stattgefunden. Jede Entscheidung werde unter klimaneutralen Gesichtspunkten diskutiert und umgesetzt. Auch in der Zukunft übernimmt DMG Mori Verantwortung: Mit Lieferanten, die die Klimaziele nicht umsetzen, sei künftig keine Zusammenarbeit mehr möglich. In einem innovativen Unternehmen braucht es Know-how und entsprechend qualifiziertes Fachpersonal. Dieses soll in der DMG Mori Academy digital ausgebildet und zum „Netflix der beruflichen Weiterbildung“ werden. Hier wird spielerisch gelernt, die Mitarbeitenden messen sich untereinander.
Zum Abschluss des Wirtschaft Live Treffens stellt Brigitte Meier fest: „Viele Bielefelder Unternehmen, ob groß oder klein, haben sich schon auf den Weg gemacht, um in puncto Nachhaltigkeit etwas zu bewegen. Auf unserer Plattform DAS KOMMT AUS BIELEFELD zeigen wir Ihnen künftig im Rahmen unserer Green Stories, welche Themen Bielefelder Unternehmen angehen und was sie zu leisten imstande sind. So können wir durch den regen Austausch viel voneinander lernen.“
Live-Stream aus dem Eventspace der Founders Foundation vom 15. April 2021
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